Mensch versus Simulacra

Menschen lassen sich im allgemeinen sehr leicht von psychisch-soziale Beeinflussungen manipulieren. Wir wollen einer Gruppe angehören und uns geliebt fühlen. Auch die erste Form der sozialen Bindung, die Liebe zur uns ernährenden und pflegenden Mutter, kann immer wieder auf unser Leben Einfluss nehmen. Durch ein als Manko erlebtes „zu wenig“ an Liebe und Fürsorge in den ersten Lebensjahren wird ein Mensch besonders empfänglich für Sehnsüchte nach einer Art von Mutter im späteren Leben. In Simulacra von Philip K. Dick wird dieser Wunsch nach einer „Über-Mutter“ zur Manipulation der Gesellschaft eingesetzt. Ein Matriarchat mit einer Schauspielerin, die Nicole Thibodeaux spielt, wird vorgegaukelt. Freud und seine NachfolgerInnen haben uns auf die verschiedenen Muster von Übertragungen in unserer Psyche aufmerksam gemacht. Am Beispiel von Ian, der wirklich sehr in Nicole Thibodaux verliebt ist, sehen wir wie stark diese Bindung sein kann.

„Al, wenn Nicole Thibodeaux tatsächlich neunzig Jahre alt ist, kann mir keine Psychotherapie der Welt helfen.“ „Bist du wirklich so sehr von einer Frau abhängig, die du noch nie in deinem Leben gesehen hast? Das ist doch schizophren. Du bist“ – Al gestikulierte – „von einer Illusion abhängig. Von etwas Synthetischem, Unwirklichem.“ „Was ist unwirklich? Was ist wirklich? Für mich ist sie wirklicher als alles andere, dich eingeschlossen. Sogar wirklicher als ich selbst, als mein ganzes Leben.“ (Simulacra, S. 146)

Zumindest seit Ovid in seinen Metarmorphosen die Geschichte des von den Frauen enttäuschten Bildhauers Pygmalion aufschrieb, existiert ein bestimmter Mythos um die perfekte Frau. Sie soll körperlich und charakterlich genau nach Wunsch des Mannes sein, keine eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen haben und leicht zufrieden zu stellen sein. Besonders unsichere Männer scheinen sich sehr von Frauen angezogen zu fühlen, in die sie viel hinein interpretieren können und nicht zuviel direkten Kontakt zu befürchten haben. Natürlich trifft das genauso auch auf Frauen zu, diese können ihre Fantasien aber erst in der moderneren Zeit offen ausleben. Darauf beruht zum Teil auch der riesige Starkult in der heutigen Zeit. Bilder werden angebetet die realer, schöner und strahlender wirken als die Menschen in unmittelbarer Umgebung. „Die unerreichbare Schöne, die Göttin, der Rockstar, der sexy Filmschauspieler,…“ Wir alle kennen diese Phänomene und die Film- und Musikindustrie weiß sie für das Merchandising gut zu nutzen.

Eine Schauspielerin offiziell an die Spitze zu stellen ermöglicht es in Simulacra dem Rat unauffällig und effizient den Staat zu regieren. Die Schauspielerin bekommt ihre Anweisungen an die sie halten muss und kann höchstens in kulturellen Dingen wie Musik und Kunst eine eigene Meinung haben. Diese Dinge sind politisch ungefährlich genug um sie zuzulassen, selbst wer auftreten darf wird streng kontrolliert. Gegen Ende entwickelt die Schauspielerin einen eigenen Willen, was im System ganz und gar nicht vorgesehen ist. Es gibt in den Theater- und Kunsttheorien immer zwei völlig konträre Meinungen, die einen finden Kunst und Politik dürfen nichts miteinander zu tun haben und die anderen fordern genau diese Einmischung der Kunst wie zum Beispiel Bert Brecht. Bereits Kleist hat in seinem Aufsatz Über das Marionettentheater auf diese Problematik angespielt, indem er einen Tanzmeister provokant behaupten lässt Puppen könnten die besseren Tänzer sein.

Er lächelte, und sagte, er getraue sich zu behaupten, daß wenn ihm ein Mechanikus, nach den Forderungen, die er an ihn zu machen dächte, eine Marionette bauen wollte, er vermittelst derselben einen Tanz darstellen würde, den weder er, noch irgend ein anderer geschickter Tänzer seiner Zeit, Vestris selbst nicht ausgenommen, zu erreichen imstande wäre. (Über das Marionettentheater. S. 4)

Kleist hat damit ein Thema vorweggenommen, dass heute mehr als aktuell ist. Der menschliche Körper wird unentwegt mit „perfekten“ Modellen verglichen. Künstlichkeit wird oft als schöner angesehen als Natürlichkeit. Schönheitsoperationen, Botox & Co haben Hochsaison, in Los Angeles findet sich kaum noch eine Schauspielerin mit nicht gestrafften Gesichtszügen. Die Medizin ist so weit entwickelt, dass sie uns ewige oder zumindest eine sehr lange Jugendlichkeit geben kann. Der Preis dafür sind Gesichter die sich nicht mehr natürlich der inneren Gemütslage anpassen sondern puppenhaft starr wirken. Auch die Technik hat große Schritte gemacht und arbeitet an immer lebensechteren menschlichen Robotern. Japan präsentierte vor kurzem den ersten Modelroboter der Welt. HRP-4C ist 1,58 Meter groß und 43 Kilogramm schwer. Ihr erster Auftritt auf dem Laufsteg steht kurz bevor. Sie ist rein mechanisch durchaus in der Lage menschliche Models zu ersetzen. Die Roboter Frau kann gehen, lächeln, sich umdrehen, die Hände bewegen, sogar sprechen – es reicht also aus um Kleider vorzuführen. Ein großer Vorteil, ein mechanisches Model kann genau nach Wunsch programmiert werden. Das Risiko einer eigenständigen unerwarteten Reaktion ist sehr klein, Gefühle könnten beliebig projiziert werden ohne jemals, sei es positive oder negative Rückmeldungen zu bekommen. Die Gefahr bei allen technisierten sozialen Umgangsformen ist sicherlich, dass unsere menschliche Kommunikation immer mehr nach vorprogrammierten Mustern abläuft. Auch die Internet Netzwerke wie Facebook, Xing oder Twitter ersetzen bereits für viele Menschen das direkte Face to Face kommunizieren. Viel Mehr „Friends“ lassen sich in viel kürzerer Zeit treffen und unendlich groß ist die Anzahl der Informationen. In diesem Dschungel an neuen Welten heißt es den Überblick zu behalten und sich erst mal zu orientieren. Wir werden sehen wie sich diese Dinge weiterentwickeln, es könnte sein dass die wenigen Augenblicke, die wir wirklich mit Menschen teilen, mit der Zeit immer kostbarer werden.

Literaturverzeichnis:

Dick, Philip K., Simulacra, München: Heyne Verlag 2005.

Kleist, Heinrich von, Über das Marionettentheater, Internetausgabe, Version 12.07

http://www.kleist.org/texte/UeberdasMarionettentheaterL.pdf


http://www.n24.de/news/newsitem_4908090.html

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